Der Tagesspiegel
13.04.2006
Datenparadies für Ökonomen - Forschen mit Bilanzen von 30000 Firmen

Glaubt man Harald Uhlig, hat die deutsche Wirtschaftswissenschaft ein Problem. International hinkt sie hinterher. "Gemessen an der Gesamtzahl von Publikationen in den besten Journalen wird Deutschland von vielen kleineren Landern wie Holland oder Belgien locker in den Schatten gestellt", sagt der Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftspolitik an der Humboldt-Universität. Zudem würden die Wirtschaftswissenschaften hier zu Lande kaum gefördert. Eine Förderorganisation unterstütze sie beispielsweise mit sechs Millionen Euro jährlich, biologisch orientierte Forschung erhalte dagegen etwa 426 Millionen Euro.
Die Konsequenz: Deutsche Unternehmen rekrutieren ihre Topmanager zunehmend aus arnerikanischen Unis, und auch in internationalen Organisationen finden sich immer weniger Ökonomen, die in Deutschland promoviert haben. „Und niemand wird behaupten wollen, dass die Wirtschaftspolitik in diesem Land optimal ist", sagt Uhlig. Unter wissenschaftspolitischen Fehlern leidet die ganze Nation, doch niemand merke es, oder beschwere sich.
Beschweren ist auch des Professors Sache nicht. Der 44-Jährige wird lieber selbst aktiv. In den letzten Jahren hat er zusammen mit anderen Wissenschaftlern den 2005 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bewilligten Sonderforschungsbereich (SFB) "Ökonomisches
Risiko" aufgebaut, der seinen Sitz an der HU hat. "Wir wollen mit dem SFB vorgeben, welche Richtung die deutsche Wirtschaftswissenschaft in Zukunft einschlagen soll", sagt Wolfgang Härdle, Ko-Sprecher des SFB. Kern des Projekts ist das Finanz- und Wirtschaftsdatenzentrum (RDC), ein Tausch- und Forschungsforum für Datensätze, Software- und Rechenprogramme. So ein Zentrum fehlte bislang in Deutschlandund war der Hauptgrund für die Förderung der DFG.
Im RDC finden Betriebswirte und Volkswirte Bilanzen von weit über 30000 Unternehmen aus mehr als 80 Ländern. Ein wahres Datenparadies. Auf der ExecuComp-Datenbank, die Informationen zur Managementvergütung liefert, greifen Forscher aus verschiedenen Teilbereichen genauso zurück wie auf EcoWin, Datastream und Worldscope. Die drei Finanzmarkdatenbanken sind besonders komfortabel und sparen vor allem eines: "Zeit - die wichtigsten Ressource für gute Forschung", sagt Uhlig. Forscher aus der ganzen Welt, von Südkorea über Schottland bis Osnabrück, werden so nach Berlin gelockt. Quantitativ- statistische und mathematische Methoden werden in den Wirtschaftswissenschaften immer wichtiger, glaubt Härdle: "Früher hat man Modelle on Daten überprüft, heute generiert man aus Daten die Modelle." Um auch den Nachwuchs auf die kommenden Aufgaben vorzubereiten, sind der Masterstudiengang Statistik und das Doppeldiplom mit der ENSAE, Ecole Nationale de la Statistique et de l'Administration Economique, Paris, auf den Sonderforschungsbereich maßgeschneidert worden. Hier lernen Studenten den Umgang mit quantitativen Methoden in der Wirtschaftsforschung. Ein in Frankreich erprobtes und gut funktionierendes Ausbildungsmodell. In insgesamt 17 Teilprojekten untersuchen Wirtschaftswissenschaftler, Statistiker und Mathematiker von verschiedenen Universitäten und Wirtschaftsinstituten die Phänomene des ökonomischen Risikos. „Wie beeinflusst das Risiko arbeitslos zu werden, die Entscheidung eines Menschen bestimmte Qualifikationen zu erwerben?", ist eine der Forschungsfragen. Franz Hubert erforscht die Risiken des Immobilienkaufs. Der Betriebswirt und Heinz-Nixdorf-Stiftungsprofessor erstellt dazu einen Immobilienindex, der die Preisrisiken einer Immobileninvestition beurteilen soll. Daten und Forschungsergebnisse bekommt Hubert über das RDC