Als erstes betrachten wir das stochastische Verhalten des
Maximums
von
unabhängigen, identisch verteilten Zufallsgrößen
mit Verteilungsfunktion . Bei Anwendungen im
Risikomanagement ist
die negativen Renditen am Tag
. Die Verteilungsfunktion von ist
|
(19.1) |
Wir betrachten nur unbeschränkte Zufallsgrößen , d.h.
für alle
Dann gilt offensichtlich
für alle , wenn
, und damit
. Das Maximum von
unbeschränkten Zufallsgrößen wächst also über alle Grenzen.
Um ein nichtdegeneriertes Grenzverhalten zu bekommen, müssen wir
in geeigneter Weise standardisieren.
Definition 19.1 (Maximumsanziehungsbereich)
Die Zufallsgrößen
gehören zum
Maximumsanziehungsbereich (maximum domain of attraction, MDA)
einer nicht-degenerierten Verteilung
, wenn für geeignete
Zahlenfolgen
gilt:
für
d.h.
für alle Stetigkeitspunkte
der Verteilungsfunktion
.
Es stellt sich heraus, dass nur sehr wenige Verteilungen als
Grenzverteilungen des standardisierten Maximums in Frage
kommen. Diese werden Extremwertverteilungen genannt. Es
handelt sich dabei um die folgenden drei Typen von
Verteilungsfunktionen:
Fréchet: |
für ein
|
|
|
Gumbel: |
|
|
|
Weibull: |
für ein
|
Abb.:
Fréchet (Rot)-, Gumbel (Schwarz)- und Weibull-Verteilungen (Blau).
SFMevt1.xpl
|
Die Fréchet-Verteilungen sind auf den nichtnegativen Zahlen
konzentriert, die Weibull-Verteilungen dagegen auf
während Gumbel-verteilte Zufallsgrößen
beliebige reelle Werte annehmen können. Abbildung 17.1
zeigt die Wahrscheinlichkeitsdichten der Gumbelverteilung, der
Fréchet-Verteilung mit Parameter und der
Weibull-Verteilung mit Parameter , Wir können alle
drei Verteilungstypen in der einheitlichen von Mises-Form
darstellen:
Definition 19.2 (Extremwertverteilungen)
Die
allgemeine Extremwertverteilung
(GEV =
generalized extreme value) mit
Formparameter
hat die Verteilungsfunktion:
ist die Gumbelverteilung, während
über die folgenden Beziehungen mit den
Fréchet- und
Weibull-Verteilungen verknüpft sind:
Die Definition beschreibt die Standardform der
GEV-Verteilungen. Im allgemeinen können
wir das Zentrum und die Skala ändern, um andere GEV-Verteilungen
zu bekommen:
mit dem
Formparameter , dem Lageparameter
und dem Skalenparameter
Für die asymptotische Theorie spielt dies keine Rolle, da
die standardisierenden Folgen stets so gewählt werden
können, dass die Grenzverteilung die Standardform (
) hat. Die entscheidende Aussage über das
Grenzverhalten des Maximums ist das Fisher-Tippett-Theorem:
Satz 19.1
Wenn es Folgen
und eine nichtdegenerierte
Verteilung
gibt, so dass
für
dann ist
eine GEV-Verteilung.
Beweis:
Zum besseren Verständnis skizzieren wir die wesentlichen
Beweisideen für dieses zentrale Resultat. Sei , und
bezeichne den ganzzahligen Anteil von . Da
die Verteilungsfunktion von ist, gilt wegen unserer
Annahme an das asymptotische Verhalten von speziell
Auf der anderen
Seite gilt auch
für
Anders ausgedrückt heißt dies
für
. Aufgrund des im Anschluss an die
Beweisskizze formulierten Lemmas ist dies nur möglich, wenn
und
|
(19.2) |
Diese Beziehungen gelten für beliebige Werte . Wir benutzen
sie speziell für beliebige und und erhalten
|
(19.3) |
Die Funktionalgleichungen (17.2), (17.3)
für
besitzen nur eine Lösung,
wenn eine der Verteilungen
oder
ist, d.h. muss eine GEV-Verteilung sein.
Lemma 19.1 (Konvergenztypen-Theorem)
Seien
Zufallsvariablen,
Wenn
in Verteilung für
, dann gilt:
genau dann, wenn
In diesem Fall hat
dieselbe Verteilung wie
.
Wir bemerken, dass die GEV-Verteilungen identisch mit den
sogenannten max-stabilen Verteilungen sind, bei denen für alle das Maximum
von u.i.v. Zufallsvariablen
dieselbe
Verteilung wie
für passend gewählte
hat.
Abb.:
Wahrscheinlichkeitsplot für die Normalverteilung
von pseudo Zufallsvariablen mit Extremwertverteilung, und zwar
Fréchet (Ober-links), Weibull (Ober-rechts) und Gumbel (Unterteil).
SFMevt2.xpl
|
Abbildung 17.2 zeigt den sogenannten Normalplot, d.h. den
Wahrscheinlichkeitsplot (PP-plot) für die Normalverteilung, vgl.
Abschnitt 17.2 für den Spezialfall
,
für auf dem Rechner erzeugte Zufallsgrößen mit einer
Gumbel-Verteilung, Fréchet-Verteilung mit Parameter
bzw. Weibull-Verteilung mit Parameter . Die
Unterschiede zu normalverteilten Zufallsgrößen, für die der
Normalplot ungefähr eine Gerade zeigt, sind deutlich sichtbar.
Wenn das Maximum von u.i.v. Zufallsgrößen nach geeigneter
Standardisierung in Verteilung konvergiert, stellt sich die Frage,
welche der drei Typen von GEV-Verteilungen als Grenzverteilung
auftritt. Dabei ist entscheidend, wie schnell die
Wahrscheinlichkeit für extrem große Beobachtungen oberhalb einer
Schwelle abklingt, wenn wächst. Da diese
Überschreitungswahrscheinlichkeiten
in der Extremwerttheorie eine wichtige Rolle spielen, führen wir
für sie eine eigene Notation ein:
Der Zusammenhang zwischen den
Überschreitungswahrscheinlichkeiten
und der
Verteilung der Maxima wird durch das folgende Resultat
deutlich.
Satz 19.2
a) Für
und jede Folge reeller Zahlen
gilt für
genau dann, wenn
b)
gehört genau dann zum
Maximumsanziehungsbereich der GEV-Verteilung
mit den
standardisierenden Folgen
, wenn für
für alle
Die Überschreitungswahrscheinlichkeiten der
Fréchet-Verteilung
verhalten sich für
wie
, da die Exponentialfunktion um 0 herum
approximativ linear ist, d.h.
für
Im wesentlichen zeigen alle Verteilungen, die zum
Maximumsanziehungsbereich dieser Fréchet-Verteilung gehören,
das gleiche Verhalten;
ist für
beinahe konstant, d.h. genauer: eine langsam variierende
Funktion.
Definition 19.3
Eine positive messbare Funktion
auf
heißt
langsam variierend, wenn für alle
für
Typische langsam variierende Funktionen sind neben den Konstanten
solche mit logarithmischem Wachstum, zum Beispiel
.
Satz 19.3
gehört genau dann zum Maximumsanziehungsbereich der
Fréchet-Verteilung
für ein
, wenn
eine langsam variierende
Funktion ist. Die Zufallsgrößen
mit der
Verteilungsfunktion
sind unbeschränkt, d.h.
für
alle
und es gilt
mit
Für die Beschreibung der standardisierenden Folge haben wir
die im folgenden eingeführte Notation benutzt. ist ein
extremes Quantil der Verteilung , und es gilt
Definition 19.4 (Quantilenfunktion)
Ist
eine Verteilungsfunktion, so
nennen wir die verallgemeinerte Inverse
die
Quantilenfunktion. Es gilt dann
, d.h.
ist das
-
Quantil der Verteilung
.
Wenn
streng monoton wächst und stetig ist, dann ist
die übliche Inverse von
.
Es gibt ein entsprechendes Kriterium für Weibull-Verteilungen,
das durch Ausnutzung der Beziehung
gezeigt werden kann. Zufallsgrößen,
deren Maxima im Grenzfall Weibull-verteilt sind, sind allerdings
auf jeden Fall beschränkt, d.h. es gibt eine Konstante
, so dass mit Wahrscheinlichkeit 1. Daher sind
sie für Finanzanwendungen nur in speziellen Situationen
interessant, wo z.B. durch eine Art Rückversicherungsstrategie
der Verlust, der aus einer Investition entstehen kann, begrenzt
worden ist. Um regelmäßige Fallunterscheidungen zu vermeiden,
diskutieren wir im folgenden meist nur den Fall, dass die Verluste
unbeschränkt sind. Der Fall von Verlusten, die eine bekannte
Schranke nicht überschreiten können, kann in ähnlicher Weise
behandelt werden.
Die Fréchet-Verteilungen treten als Grenzverteilungen der
Maxima von Zufallsgrößen auf, für die die Wahrscheinlichkeit
von großen Werten oberhalb von nur langsam mit abfällt,
während nur beschränkte Zufallsgrößen zum
Maximumsanziehungsbereich von Weibull-Verteilungen gehören. Viele
bekannte Verteilungen wie die Exponential- oder Normalverteilung
gehören weder zu der einen noch zu der anderen Gruppe. Es liegt
die Vermutung nahe, dass in diesen Fällen die Verteilung der
geeignet standardisierten Maxima gegen die Gumbel-Verteilung
konvergiert. Die allgemeinen Bedingungen hierfür sind allerdings
komplizierter und schwerer überprüfbar als für die
Fréchet-Verteilungen.
Satz 19.4
Die Verteilungsfunktion
unbeschränkter Zufallsgrößen
gehört genau dann zum Maximumsanziehungsbereich der
Gumbel-Verteilung, wenn messbare Skalierungsfunktionen
sowie eine absolut stetige Funktion
existieren mit
für
so dass für ein
:
In diesem Fall gilt
mit
und
Als Funktion kann die mittlere
Exzess-Funktion
gewählt werden, die im folgenden noch eingehender betrachtet
wird.
Die Exponentialverteilung mit Parameter hat die
Verteilungsfunktion
so
dass
die Bedingungen des
Satzes mit
und
erfüllt. Das Maximum von unabhängigen exponentiell
verteilten Zufallsgrößen mit Parameter konvergiert
daher in Verteilung gegen die Gumbel-Verteilung:
für
Im allgemeinen sind die Bedingungen aber nicht so leicht zu
überprüfen. Es gibt allerdings einfachere hinreichende
Kriterien, mit denen sich zum Beispiel zeigen lässt, dass auch
die Normalverteilung zum Maximumsanziehungsbereich der
Gumbel-Verteilung gehört. Ist zum Beispiel das Maximum von
unabhängigen standardnormalverteilten Zufallsgrößen, so
gilt
SFMevtex1.xpl
Zu den Verteilungen im Maximumsanziehungsbereich der
Fréchet-Verteilung
gehört insbesondere die
Pareto-Verteilung mit
Verteilungsfunktion
sowie alle anderen Verteilungen mit Paretoflanken, d.h. mit
für
Da hier
für
sich
wie
verhält, stimmt für
mit
überein, und
für
Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem Grenzverhalten der
Maxima von Zufallsgrößen und der Verteilung der entsprechenden
Exzesse, die die Grundlage eines wichtigen Schätzverfahrens in
der Extremwertstatistik bilden und im nächsten Abschnitt
definiert werden. Es handelt sich dabei im wesentlichen um die
Überschreitungen der Beobachtungen über einen vorgegebenen
Schwellenwert . Ihre Verteilung wird folgendermaßen
definiert:
Definition 19.5 (Exzessverteilung)
Sei
ein beliebiger
Schwellenwert und
die Verteilungsfunktion einer
unbeschränkten Zufallsgröße
.
- a)
-
heißt die
Exzess-Verteilungsfunktion über dem Schwellenwert .
- b)
-
,
ist die
mittlere Exzess-Funktion.
Mit partieller Integration folgt, dass diese Definition der
mittleren Exzess-Funktion mit der in Anschluss an Satz
17.4 gegebenen übereinstimmt:
Ist eine Zufallsgröße mit der Verteilungsfunktion
dann ist ihr Erwartungswert
Satz 19.5
sei eine positive, unbeschränkte Zufallsgröße mit absolut
stetiger
Verteilungsfunktion
.
a) Die mittlere Exzess-Funktion
bestimmt
eindeutig:
b) Wenn
im
Maximumsanziehungsbereich der Fréchet-Verteilung
liegt,
so ist
für
näherungsweise linear:
Definition 19.6 (Pareto-Verteilungen)
Die
allgemeine Pareto-Verteilung
(GP =
generalized Pareto) mit den Parametern
besitzt die Verteilungsfunktion
für
und
heißen
allgemeine
Standard-Pareto-Verteilungen oder
standardisierte
GP-Verteilungen.
Abb.:
Standard-Pareto-Verteilungen () mit den Parametern
(Rot),
0 (Schwarz) und (Blau).
SFMgpdist.xpl
|
Abbildung 17.3 zeigt die allgemeinen
Standard-Pareto-Verteilungen mit den Parametern
und .
Für
ist die standardisierte GP-Verteilung eine Exponentialverteilung mit Parameter Für
ist sie eine Pareto-Verteilung
mit
dem Parameter
. Für
heißt die
GP-Verteilung auch eine Beta-Verteilung und hat die
Verteilungsfunktion
.
Satz 19.6
Die Verteilung
liegt genau dann im MDA der GEV-Verteilung
mit dem Formparameter
, wenn für eine
messbare Funktion
und die allgemeine
Pareto-Verteilung
gilt:
für
Ein entsprechendes Resultat gilt auch für den Fall ,
wobei das Supremum über diejenigen genommen werden muss, für
die
.
Für die allgemeine Pareto-Verteilung
gilt schon für jeden endlichen Schwellenwert
für
In diesem Fall ist also
.