In diesem Abschnitt verwenden wir die Black-Scholes-Gleichung zur Berechnung des Preises europäischer Optionen.
Wir halten uns an die Notation des vorigen Kapitels und schreiben
für den Wert zur Zeit eines europäischen Calls bzw. Puts mit Ausübungskurs und
Fälligkeitstermin , wenn das zugrundeliegendes Objekt, z.B. eine Aktie, zur Zeit den Kurs hat. Der
Wert der Kaufoption erfüllt dann für alle Kurse mit
die Differentialgleichung
Die erste Randbedingung
(6.18) ergibt sich sofort aus der Definition des Calls, der
nur ausgeübt wird, wenn , und der dann den Gewinn
einbringt. Die erste Bedingung in (6.19) ergibt sich
aus der Beobachtung, dass die geometrische Brownsche Bewegung
in der Null bleibt, wenn sie erst einmal den Wert Null
angenommen hat, d.h. aus für ein folgt
automatisch , und der Call wird nicht ausgeübt. Die
zweite Bedingung in (6.19) ergibt sich aus der Überlegung,
dass die geometrische Brownsche Bewegung den Ausübungskurs
nur mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit wieder unterschreitet,
wenn sie erst einmal ein Niveau weit oberhalb von erreicht
hat. Wenn für ein dann gilt auch mit hoher
Wahrscheinlichkeit . Der Call wird also ausgeübt und
liefert den Ertrag
.
Die Differentialgleichung (6.17) mit den Randbedingungen (6.18), (6.19) kann analytisch gelöst werden.
Wir transformieren sie dazu in eine aus der Literatur bekannte Form. Zuerst ersetzen wir die Zeitvariable durch
die Restlaufzeit
. Dadurch wird das Problem mit Endbedingung (6.18) bei zu einem
Anfangswertproblem bei . Anschließend multiplizieren wir (6.17) mit
und ersetzen
die Parameter durch
sowie die Variablen durch
Während für die alten Parameter
gegolten hat, ergibt sich für den
Wertebereich der neuen Parameter
Schließlich setzen wir
und erhalten die neue Differentialgleichung
|
(8.20) |
mit der Anfangsbedingung
|
(8.21) |
Anfangswertprobleme dieser Art sind aus der Literatur über partielle Differentialgleichungen bestens bekannt. Sie
treten beispielsweise bei der mathematischen Modellierung von Wärmeleitungs- und Diffusionsprozessen auf. Die
Lösung ist
Den Optionspreis erhalten wir daraus, indem wir die Variablen- und Parametertransformationen
rückgängig machen. Wir schreiben im folgenden wieder wie in Kapitel 2.1 für den Call-Preis
als Funktion der Restlaufzeit
anstelle der aktuellen Zeit . Dann haben wir
Durch Substitution
erhalten wir die Anfangsbedingung in ihrer ursprünglichen Form
. Ersetzen wir außerdem und wieder durch die Variablen und , erhalten wir
Für die geometrische Brownsche Bewegung ist lognormalverteilt, d.h.
ist normalverteilt
mit den Parametern
und
. Die bedingte Verteilung von gegeben
ist demnach ebenfalls eine Lognormalverteilung mit den Parametern
und
. Der Integrand von (6.22) ist aber bis auf den Faktor
gerade die Dichte
dieser Verteilung. Damit erhalten wir die interessante Interpretation des Callwertes als abgezinster
Erwartungswert der Endbedingung
gegeben den aktuellen Kurs :
|
(8.23) |
Diese Eigenschaft ist bei der Herleitung numerischer Verfahren zur Berechnung von Optionswerten hilfreich. Zuerst
nutzen wir aber aus, dass (6.22) ein Integral bzgl. der Dichte einer Lognormalverteilung enthält, um den
Ausdruck weiter zu vereinfachen. Durch geeignete Substitution formen wir ihn in ein Integral bzgl. der Dichte
einer Normalverteilung um und erhalten
|
(8.24) |
wobei abkürzend für
|
(8.25) |
steht und die Verteilungsfunktion der Standardnormalverteilung bezeichnet:
(6.24) ist zusammen mit (6.25) die Black-Scholes-Formel für den
Preis einer europäischen Kaufoption. In den Grenzfällen und erhalten wir:
- Ist , so ist und damit
, so dass sich
der Wert der Kaufoption im dividendenfreien Fall etwa wie
also wie der aktuelle Kurs abzüglich
des auf den aktuellen Zeitpunkt abgezinsten Ausübungskurses verhält.
- Ist , so ist
und somit
, so dass die Option wertlos ist:
.
Die entsprechende Black-Scholes-Formel für den Preis einer
europäischen Verkaufsoption könnten wir genauso durch Lösen der
Black-Scholes-Differentialgleichung mit den
passenden Randbedingungen herleiten. Einfacher ist aber das Ausnutzen der Put-Call-Parität (Satz 2.3)
Hieraus erhalten wir zusammen mit (6.24) sofort
|
(8.26) |
Für den Wert europäischer Kauf- und Verkaufsoptionen gibt es
also explizite Formeln. Die beiden Terme in der Formel (6.24)
für z.B. den Wert der Kaufoption lassen sich grob
folgendermaßen interpretieren, wobei wir uns auf den
dividendenfreien Fall beschränken. Der erste Term ist dann
und repräsentiert in erster Linie
den Wert der Aktie, die der Käufer der Kaufoption im Fall der
Ausübung seines Rechts beziehen kann. Der andere Term
steht in erster Linie für den Wert des
Ausübungskurses. Über die Variable beeinflusst natürlich
das Verhältnis beide Terme.
Bei der Herleitung der Black-Scholes-Differentialgleichung haben wir gesehen, dass insbesondere der Wert einer
Kaufoption durch Aktien und Anleihen dupliziert werden kann. Der in Aktien
investierte Betrag ergibt sich dabei als
,
wobei
die Hedge-Rate ist. Sie
bestimmt das zum Hedgen notwendige, auch Delta genannte Verhältnis zwischen Aktien und Optionen.
Leitet man die Black-Scholes-Formel (6.24) nach ab, so erhält man
Der erste Term in (6.24) steht somit für den im
Duplikationsportfolio in Aktien und der zweite für den in
Anleihen investierten Betrag.
Da die analytischen Lösungsformeln die Auswertung der Standardnormalverteilungsfunktion erfordert,
was nur numerisch erfolgen kann, muss man für die praktische Anwendung der Black-Scholes-Formel auf
Näherungen der Normalverteilung zurückgreifen. Davon kann in geringem Maße der berechnete Optionswert
abhängen. Zur Illustration betrachten wir verschiedene in der Literatur (beispielsweise Hastings (1955))
beschriebene Näherungsformeln.
a.) Die Normalverteilung kann folgendermaßen approximiert werden:
mit
Der Approximationsfehler hat unabhängig von die Größenordnung
.
SFMNormalApprox1.xpl
b.)
Der Fehler dieser Approximation liegt bei
.
SFMNormalApprox2.xpl
c.) Eine andere Approximation der Normalverteilung, deren
Fehler von der Größenordnung
ist, lautet:
mit
SFMNormalApprox3.xpl
d.) Als letzte Möglichkeit wollen wir hier noch
die Taylorreihenzerlegung angeben:
Mit Hilfe dieser Reihe kann die Normalverteilung beliebig genau angenähert
werden, wobei natürlich mit der Genauigkeit auch die Anzahl der benötigten
Summanden und somit der arithmetischen Operationen steigt.
SFMNormalApprox4.xpl
Ein Vergleich aller vier Näherungsformeln ist in der Tabelle 6.1 enthalten.
Die Taylorreihe wurde beim ersten Summanden, der betragsmäßig kleiner
als ist, abgebrochen. Die letzte Spalte gibt dabei die Nummer
des letzten Summanden an.
Tabelle 6.1:
Verschiedene Approximationen der Normalverteilung
|
norm-a |
norm-b |
norm-c |
norm-d |
iter |
1.0000 |
0.8413517179 |
0.8413447362 |
0.8413516627 |
0.8413441191 |
6 |
1.1000 |
0.8643435425 |
0.8643338948 |
0.8643375717 |
0.8643341004 |
7 |
1.2000 |
0.8849409364 |
0.8849302650 |
0.8849298369 |
0.8849309179 |
7 |
1.3000 |
0.9032095757 |
0.9031994476 |
0.9031951398 |
0.9031993341 |
8 |
1.4000 |
0.9192515822 |
0.9192432862 |
0.9192361959 |
0.9192427095 |
8 |
1.5000 |
0.9331983332 |
0.9331927690 |
0.9331845052 |
0.9331930259 |
9 |
1.6000 |
0.9452030611 |
0.9452007087 |
0.9451929907 |
0.9452014728 |
9 |
1.7000 |
0.9554336171 |
0.9554345667 |
0.9554288709 |
0.9554342221 |
10 |
1.8000 |
0.9640657107 |
0.9640697332 |
0.9640670474 |
0.9640686479 |
10 |
1.9000 |
0.9712768696 |
0.9712835061 |
0.9712842148 |
0.9712839202 |
11 |
2.0000 |
0.9772412821 |
0.9772499371 |
0.9772538334 |
0.9772496294 |
12 |
|
Tabelle:
Bestimmung des europäischen Callpreises mit verschiedenen Approximationen der Normalverteilung
SFMBSCopt1.xpl
Aktienkurs |
230.00 |
EUR/Aktie |
Ausübungskurs |
210.00 |
EUR/Aktie |
stetiger Zinssatz |
0.04545 |
|
stetiger Bestandshaltekosten |
0.04545 |
keine Dividende |
Volatilität |
0.25000 |
p.a. |
Restlaufzeit
|
0.50000 |
a |
Optionspreise norm-a |
30.74262 |
|
Optionspreise norm-b |
30.74158 |
|
Optionspreise norm-c |
30.74352 |
|
Optionspreise norm-d |
30.74157 |
|
|
Die Tabelle 6.2 zeigt den Optionspreis, der mit Hilfe der
Formel (6.24) für eine konkrete europäische Kaufoption
auf der Grundlage verschiedener Approximationen der
Normalverteilung berechnet wurde.