8.1 Die Black-Scholes-Differentialgleichung

Einfache, allgemein akzeptierte ökonomische Annahmen reichen nicht aus, um eine rationale Optionspreistheorie zu entwickeln. Die Voraussetzung eines perfekten Marktes hat in Kapitel 2.1 nur zum Herleiten elementarer Arbitragebeziehungen gereicht, denen Optionspreise genügen müssen und die sich daher als Test für fortgeschrittene Modellierungsansätze eignen. Die explizite Berechnung eines Optionspreises als Funktion von Zeit und Kurs sowie seiner zugrundeliegenden Parameter $ K, T$ ist damit aber nicht möglich. Hierfür wird ein Modell für den Kurs des zugrundeliegenden Finanzinstruments (Aktie, Devise, ...) gebraucht, bei dem es sich in aller Regel um einen stochastischen Prozess in diskreter oder stetiger Zeit handelt. Prozesse in stetiger Zeit haben den Vorteil, dass sich mit ihnen viele Problemstellungen leichter analytisch behandeln lassen. Prozesse in diskreter Zeit betrachten wir vorerst nur als Approximationen, mit denen sich leichter numerische Berechnungen durchführen lassen. Im zweiten Teil des Buches werden sie als eigenständige Modelle in der Finanzzeitreihenanalyse diskutiert.

Ein auch heute noch häufig verwendetes Modell für Aktienkurse, das auch die Grundlage des klassischen Black-Scholes-Ansatzes darstellt, ist die geometrische Brownsche Bewegung. Bei Annahme dieses Modells erfüllt der Aktienkurs $ S_t$ die einfache stochastische Differentialgleichung

$\displaystyle dS_t = \mu S_t dt + \sigma S_t dW_t .$ (8.1)

Äquivalent hierzu ist die Annahme, dass der Prozess der Renditen eine gewöhnliche Brownsche Bewegung ist, d.h.

$\displaystyle \frac{dS_t}{S_t} = \mu dt + \sigma dW_t .$ (8.2)

Die Drift $ \mu$ gibt die erwartete Rendite des Objektes je Zeiteinheit. Die Volatilität $ \sigma$ ist ein Maß für die zu erwartende Größe der zufälligen Schwankungen der Rendite um ihren Erwartungswert. $ \mu$ und $ \sigma$ hängen voneinander ab und sind für Anlageentscheidungen auf der Basis von Risikopräferenzen wesentlich: je größer die erwartete Rendite, also $ \mu$, sein soll, ein umso höheres, durch $ \sigma$ quantifiziertes Risiko muss in der Regel eingegangen werden.

Das Modell der geometrischen Brownschen Bewegung liefert eine brauchbare und in der Praxis bewährte Näherung für Aktienkurse über kurze und mittlere Zeiträume, zum Beispiel über die Laufzeit typischer Aktienoptionen. Inzwischen sind zwar eine Reihe von Diskrepanzen zwischen Realität und Modell bekannt, z.B. Abweichungen der Volatilitätsfunktion $ \sigma(x,t)$ im allgemeinen Modell (5.8) von der linearen Form $ \sigma \cdot x$ der geometrischen Brownschen Bewegung in bestimmten Situationen, aber der Black-Scholes-Ansatz wird dennoch als erste einfache Näherung zur Optionsbewertung benutzt. Die prinzipielle Idee zur Ableitung von Optionspreisen lässt sich außerdem auf allgemeinere Aktienkursmodelle übertragen.

Der Ansatz von Black und Scholes beruht auf der bereits in Kapitel 2.1 benutzten Idee, den Wert eines Portfolios, das die interessierende Option enthält, durch ein zweites Portfolio zu duplizieren, das ausschließlich aus Finanzinstrumenten mit bekanntem Preis besteht. Dieses Duplikationsportfolio wird so gewählt, dass beide Portfolios zu einem Zeitpunkt $ T$, typischerweise dem Fälligkeitstermin der Option, wertgleich sind. Dann folgt aus der Annahme eines perfekten Marktes und insbesondere aus der Arbitragefreiheit die Wertgleichheit zu jedem früheren Zeitpunkt. Hierfür gibt es zwei äquivalente Möglichkeiten, die wir am Beispiel eines Calls auf eine Aktie mit Kurs $ S_t$ erläutern:

1. Eines der Portfolios besteht nur aus dem Call, dessen Preis ermittelt werden soll. Das Duplikationsportfolio wird aus Aktien und risikolosen Zerobonds zusammengestellt, deren Anzahl sich kontinuierlich an den sich ändernden Kurs anpassen müssen. Der Nominalwert der Zerobonds kann ohne Einschränkung als $ 1$ gesetzt werden, da ihre Anzahl frei wählbar ist. Zur Zeit $ t$ bestehen die beiden Portfolios aus

Portfolio $ A$:
Eine Kaufoption auf die Aktie mit Terminkurs $ K$ und Fälligkeit $ T$.
Portfolio $ B$:
$ n_t = n(S_t, t)$ Aktien und $ m_t = m(S_t,t)$ Zerobonds mit Nominalwert $ B_T = 1$ und Fälligkeit $ T$.
2. Eines der Portfolios ist ein perfektes Hedge-Portefeuille aus Aktien und verkauften Calls (mit Short Selling). Durch eine dynamische Hedge-Strategie wird dafür gesorgt, dass das Portfolio jederzeit risikolos ist, d.h. dass die Calls gerade die Gewinne und Verluste der Aktien neutralisieren. Das Duplikationsportfolio ist dementsprechend ebenfalls risikofrei und besteht ausschließlich aus Zerobonds. Auch dieser Ansatz erfordert wie im Fall 1. eine kursabhängige kontinuierliche Anpassung im Bestand der Portfolios. Zur Zeit $ t$ enthalten die beiden Portfolios
Portfolio $ A$:
Eine Aktie und $ n_t = n(S_t, t)$ (über Short selling) verkaufte Kaufoptionen auf die Aktie mit Terminkurs $ K$ und Fälligkeit $ T$.
Portfolio $ B$:
$ m_t = m(S_t,t)$ Zerobonds mit Nominalwert $ B_T = 1$ und Fälligkeit $ T$.
Sei $ T^*=T$, wenn der Besitzer die Kaufoption verfallen lässt, und sei $ T^*$ andernfalls der Zeitpunkt, zu dem die Option ausgeübt wird. Für einen europäischen Call ist z.B. stets $ T^*=T$, während ein amerikanischer Call vorzeitig ausgeübt werden kann. Aus der Wertgleichheit des Calls und des Duplikationsportfolios in Ansatz 1. oder aus der Wertgleichheit des Hedgeportfolios mit dem risikolosen Bondportfolio in Ansatz 2. zu jedem Zeitpunkt $ t \leq T^*$ folgt jeweils dieselbe partielle Differentialgleichung für den Wert des Calls, die sogenannte Black-Scholes-Gleichung.

Der Ansatz von Black und Scholes ist nicht auf die Preisbestimmung einfacher Puts und Calls beschränkt, sondern lässt sich auf jedes derivative Finanzinstrument $ \cal{U}$ auf ein zugrundeliegendes Objekt mit Kurs $ S_t$ anwenden, wenn $ S_t$ eine geometrische Brownsche Bewegung ist und wenn der Preis $ F_t$ des Derivats bis zu seiner Ausübung nur eine Funktion des aktuellen Kurses und der Zeit ist: $ F_t = F(S_t,t)$. Dann existiert nach dem folgenden Satz ein das Finanzinstrument duplizierendes Portfolio und der obige Ansatz 1. ist auf die Preisbestimmung anwendbar. Bei allgemeinen Derivaten muss das Duplikationsportfolio nicht nur zum Ausübungszeitpunkt $ T^*$ denselben Wert haben, sondern auch vorher schon denselben Cashflow, d.h. dieselben entnehmbaren Erträge oder zuzuschießenden Kosten, wie das Derivat generieren. Die Existenz eines perfekten Hedge-Portfolios als Grundlage von Ansatz 2. kann analog gezeigt werden.

Satz 8.1  
Sei der Kurs $ S_t$ eines Objektes eine geometrische Brownsche Bewegung (6.1). Sei $ \cal{U}$ ein von dem Objekt abhängiges derivatives Finanzinstrument mit Fälligkeit $ T$. Sei $ T^* \leq T$ der Ausübungszeitpunkt des Derivats bzw. $ T^*=T$, falls $ \cal{U}$ nicht ausgeübt wird. Sei der Wert des Derivats zu jedem Zeitpunkt $ t \leq T^*$ durch eine Funktion $ F(S_t,t)$ von Kurs und Zeit gegeben.
a)
Es existiert ein Portfolio aus dem zugrundeliegenden Objekt und risikolosen Anleihen, das das Derivat in dem Sinn dupliziert, dass es bis zur Zeit $ T^*$ denselben Cashflow generiert und zur Zeit $ T^*$ denselben Wert wie $ \cal{U}$ hat.
b)
Die Wertfunktion $ F(S,t)$ des Derivats erfüllt die Differentialgleichung von Black und Scholes

$\displaystyle \frac{\partial F(S,t) }{\partial t} - rF(S,t) + bS \frac{\partial...
...1}{2}\sigma^2 S^2\frac{\partial^2 F(S,t)}{\partial S^2} = 0 , \quad t \leq T^*,$ (8.3)

Beweis:
Der Einfachheit halber gehen wir davon aus, dass das Objekt eine Aktie mit dem stetigen Dividendenertrag $ d$ und damit den Bestandshaltekosten $ b = r - d$ ist, wobei $ r$ wieder den kontinuierlichen Zinssatz bezeichnet. Wir beschränken uns außerdem auf den Fall, dass $ \cal{U}$ ein Derivat mit der Aktie als zugrundeliegendem Objekt ist und dass $ \cal{U}$ vor der Zeit $ T^*$ keinen Cashflow erzeugt.

Wir bilden ein Portfolio aus $ n_t = n(S_t, t)$ Aktien und aus $ m_t = m(S_t,t)$ Zerobonds mit Fälligkeit $ T$ und Nominalwert $ B_T = 1$.

$\displaystyle B_t = B_Te^{-r(T-t)} = e^{r(t-T)}$

sei der auf den Zeitpunkt $ t$ abgezinste Wert eines Bonds. Den Wert des Portfolios zur Zeit $ t$ bezeichnen wir mit

$\displaystyle V_t \stackrel{\mathrm{def}}{=}V(S_t,t) = n(S_t,t) \cdot S_t + m(S_t,t) \cdot B_t .$

Zu zeigen ist, dass $ n_t$ und $ m_t$ so gewählt werden können, dass bei Ausübung bzw. am Ende der Laufzeit von $ \cal{U}$ Portfolio und Derivat wertgleich sind, d.h. $ V(S_{T^*},T^*) =
F(S_{T^*},T^*)$, und dass das Portfolio vorher keinen Cashflow erzeugt, d.h. dem Portfolio darf vor der Zeit $ T^*$ weder Geld entnommen noch ihm Geld zugeschossen werden. Alle Änderungen im Bestand müssen aus den Dividenden bzw. durch Kauf und Verkauf von Aktien bzw. Bonds realisiert werden.

Wir untersuchen zuerst, wie sich der Wert $ V_t$ des Portfolios in einem kleinen Zeitraum $ dt$ ändert. Dabei schreiben wir $ dV_t = V_{t+dt} - V_t, \; dn_t = n_{t+dt} - n_t$ usw.

$\displaystyle dV_t$ $\displaystyle =$ $\displaystyle n_{t+dt} S_{t+dt} + m_{t+dt}B_{t+dt} - n_t S_t - m_t B_t$  
  $\displaystyle =$ $\displaystyle dn_t S_{t+dt} + n_t dS_t + dm_t B_{t+dt} + m_t dB_t ,$  

so dass

$\displaystyle dV_t = dn_t (S_t+dS_t) + n_t dS_t + dm_t (B_t+dB_t) + m_t dB_t .$ (8.4)

Da der stochastische Prozess $ S_t$ eine geometrische Brownsche Bewegung und damit ein Itô-Prozess (5.8) mit $ \mu(x,t) = \mu x$ und $ \sigma(x,t) = \sigma x$ ist, folgt aus der allgemeinen Form (5.10) des Lemmas von Itô zusammen mit (6.1)

$\displaystyle dn_t = \frac{\partial n_t}{\partial t}dt + \frac{\partial n_t}{\partial S}dS_t + \frac{1}{2}\frac{\partial^2 n_t}{\partial S^2}\sigma ^2 S_t^2 dt .$ (8.5)

und eine völlig analoge Beziehung für $ m_t$. Daraus folgt unter Verwendung von

$\displaystyle (dS_t)^2 = ( \mu S_t dt + \sigma S_t dW_t )^2 = \sigma^2 S_t^2 (d...
...ptstyle \mathcal{O}}(dt) = \sigma^2 S_t^2 dt + {\scriptstyle \mathcal{O}}(dt) ,$

$\displaystyle dB_t = rB_t dt , \; dS_t\cdot dt = {\scriptstyle \mathcal{O}}(dt) \;$   und$\displaystyle \; dt^2 ={\scriptstyle \mathcal{O}}(dt)$

und Vernachlässigen der Terme, die klein gegenüber $ dt$ sind:

$\displaystyle dn_t (S_t + dS_t) = \Big(\displaystyle\frac{\partial n_t }{\parti...
...sigma ^2 S_t^2 dt \Big)S_t + \frac{\partial n_t}{\partial S}\sigma^2 S_t^2 dt ,$ (8.6)

$\displaystyle dm_t (B_t + dB_t) = \Big(\displaystyle\frac{\partial m_t }{\parti...
...}\frac{\partial^2 m_t}{\partial S^2}\sigma ^2 S_t^2 dt \Big)B_t . \hspace*{2cm}$ (8.7)

Die entscheidende Forderung, dass das Portfolio wie das zu duplizierende Derivat vor der Zeit $ T^*$ keinen Cashflow generiert, bedeutet nun, dass die beiden Komponenten $ dn_t (S_t + dS_t)$ und $ dm_t (B_t + dB_t)$ von $ dV_t$ in (6.4), die dem Kauf/Verkauf von Aktien bzw. Zerobonds entsprechen, aus den Dividenden finanziert werden müssen. Da eine Aktie in einem kleinen Zeitintervall der Länge $ dt$ die Dividende $ d\cdot S_t \cdot dt$ abwirft, bedeutet dies

$\displaystyle d \cdot n_t S_t \cdot dt = (r-b) \cdot n_t S_t \cdot dt = dn_t (S_t + dS_t) + dm_t (B_t + dB_t) $

oder, nach Einsetzen von (6.6) und (6.7),
0 $\displaystyle =$ $\displaystyle (b-r)n_tS_tdt +\Big(\displaystyle\frac{\partial m_t }{\partial t}...
...S_t +
\frac{1}{2}\frac{\partial^2 m_t}{\partial S^2}\sigma ^2 S_t^2 dt \Big)B_t$  
$\displaystyle *[+3mm]$   $\displaystyle + \Big(\displaystyle\frac{\partial n_t }{\partial t}dt + \frac{\p...
...\sigma ^2 S_t^2 dt \Big)S_t +
\frac{\partial n_t}{\partial S}\sigma ^2 S_t^2 dt$  

Einsetzen von (6.1) und Zusammenfassen der stochastischen Anteile mit Differential $ dW_t$, der deterministischen Anteile mit Differential $ dt$, die den Driftparameter $ \mu$ enthalten, und der restlichen deterministischen Terme liefert
0 $\displaystyle =$ $\displaystyle \quad \Big(\displaystyle\frac{\partial n_t }{\partial S}S_t + \frac{\partial m_t }{\partial S} B_t\Big) \mu S_t dt$  
$\displaystyle *[+3mm]$   $\displaystyle + \, \Big\{\Big(\displaystyle\frac{\partial n_t }{\partial t} + \...
...ma ^2 S_t^2 \Big)S_t +
\frac{\partial n_t}{\partial S}\sigma ^2 S_t^2 \nonumber$  
    $\displaystyle + \Big(\displaystyle\frac{\partial m_t }{\partial t} + \frac{1}{2...
...{\partial^2 m_t}{\partial S^2}\sigma ^2 S_t^2 \Big)B_t +
(b-r)n_tS_t \Big \} dt$  
$\displaystyle *[+3mm]$   $\displaystyle + \, \Big(\displaystyle\frac{\partial n_t }{\partial S}S_t + \frac{\partial m_t }{\partial S} B_t\Big)\sigma S_t dW_t$ (8.8)

Dies ist nur möglich, wenn der stochastische Anteil verschwindet, d.h.

$\displaystyle \frac{\partial n_t }{\partial S}S_t + \frac{\partial m_t }{\partial S} B_t = 0 .$ (8.9)

Damit verschwindet der erste Term in (6.8) ebenfalls, und der mittlere Term muss schließlich auch 0 sein:
$\displaystyle \Big(\frac{\partial n_t }{\partial t}+\frac{1}{2}\frac{\partial^2...
...l S^2}
\sigma ^2 S_t^2 \Big)S_t + \frac{\partial n_t}{\partial S}\sigma^2 S_t^2$      
$\displaystyle + \Big(\frac{\partial m_t }{\partial t}+\frac{1}{2}\frac{\partial^2 m_t}{\partial S^2}
\sigma^2 S_t^2 \Big)B_t + (b-r)n_tS_t = 0$     (8.10)

Wir können diese Gleichung weiter vereinfachen, indem wir Gleichung (6.9) partiell nach $ S$ differenzieren:

$\displaystyle \frac{\partial^2 n_t }{\partial S^2}S_t + \frac{\partial n_t }{\partial S} + \frac{\partial^2 m_t }{\partial S^2} B_t = 0$ (8.11)

und das Ergebnis in (6.10) einsetzen. Wir erhalten dann

$\displaystyle \frac{\partial n_t }{\partial t}S_t + \frac{\partial m_t }{\parti...
..._t + \frac{1}{2}\frac{\partial n_t}{\partial S}\sigma^2 S_t^2 + (b-r)n_tS_t = 0$ (8.12)

Da der Aktienkurs $ S_t$ nicht explizit von der Zeit abhängt und somit $ \partial S_t / \partial t = 0$, liefert Differenzieren des Portfoliowerts $ V_t = n_tS_t + m_tB_t$ nach der Zeit

$\displaystyle \frac{\partial V_t }{\partial t} = \frac{\partial n_t }{\partial ...
...tial n_t }{\partial t} S_t + \frac{\partial m_t }{\partial t} B_t
+ m_t r B_t .$

Daraus folgt

$\displaystyle \frac{\partial n_t }{\partial t} S_t + \frac{\partial m_t }{\part...
...\partial t} - r m_t B_t
= \frac{\partial V_t }{\partial t} - r(V_t - n_t S_t) .$

Durch Einsetzen dieser Gleichung in (6.12) eliminieren wir den $ m_t$ enthaltenden Term und erhalten

$\displaystyle \frac{1}{2}\sigma^2 S_t^2\frac{\partial n}{\partial S} + \frac{\partial V_t }{\partial t} +bn_tS_t - rV_t = 0$ (8.13)

Da der Bondwert $ B_t$ nicht vom Kurs abhängt und somit $ \partial B_t / \partial S = 0$, liefert Differenzieren des Portfoliowerts $ V_t = n_tS_t + m_tB_t$ nach dem Kurs

$\displaystyle \frac{\partial V_t }{\partial S} = \frac{\partial n_t }{\partial S} S_t + n_t + \frac{\partial m_t }{\partial S} B_t = n_t$

wegen Gleichung (6.9), d.h.

$\displaystyle n_t = \frac{\partial V_t }{\partial S} .$ (8.14)

$ n_t$ ist somit gleich dem sogenannten Delta oder der Hedge-Rate des Portfolios (vgl. Abschnitt 6.3.1). Da

$\displaystyle m_t = \frac{V_t - n_t S_t}{B_t} ,$

können wir das gesuchte Duplikationsportfolio konstruieren, wenn wir $ V_t = V(S_t,t)$ kennen. Diese Funktion von Kurs und Zeit erhalten wir als Lösung der Differentialgleichung von Black und Scholes

$\displaystyle \frac{\partial V(S,t) }{\partial t} - rV(S,t) + bS \frac{\partial...
...artial S} + \frac{1}{2}\sigma^2 S^2\frac{\partial^2 V(S,t)}{\partial S^2} = 0 ,$ (8.15)

die sich durch Einsetzen von (6.14) in Gleichung (6.13) ergibt. Zur Bestimmung von $ V$ fehlt noch ein Randbedingung, die wir aus der Forderung erhalten, dass der Cashflow des Portfolios bei Ausübung bzw. Fälligkeit des Derivats, d.h. zur Zeit $ T^*$, mit dem Cashflow des Derivats übereinstimmt, also denselben Pay-off hat:

$\displaystyle V(S_{T^*},T^*) = F(S_{T^*},T^*) .$ (8.16)

Da das Derivat jederzeit denselben Cashflow wie das Portfolio hat, erfüllt $ F(S,t)$ ebenfalls die Black-Scholes- Differentialgleichung, und zu jedem Zeitpunkt $ t \leq T^*$ gilt $ F_t = F(S_t,t) = V(S_t,t) = V_t$.
$ {\Box}$
Die Differentialgleichung von Black und Scholes beruht wesentlich auf der Annahme, dass der Kurs durch eine geometrische Brownsche Bewegung modelliert werden kann. Eine derartige Annahme ist nur gerechtfertigt, wenn die darauf aufbauende Theorie auch die Arbitragebeziehungen aus Kapitel 2.1 reproduziert, Wir überprüfen dies am Beispiel eines Terminkontraktes mit Terminkurs $ K$ und Fälligkeit $ T$ auf ein Objekt, mit dem stetige Bestandshaltekosten mit Rate $ b$ verbunden sind. Der Wert $ V(S_t,t)$ hängt nur von Kurs und Zeit ab, erfüllt also die Bedingung von Satz 6.1. Aus Satz 2.1 erhalten wir nach Einsetzen der Definition der Restlaufzeit $ \tau = T - t$

$\displaystyle V(S,t) = S e^{(r-b)(t-T)} - Ke^{r(t-T)} .$

Durch Einsetzen überprüft man leicht, dass diese Funktion die eindeutige Lösung der Differentialgleichung (6.3) mit der Randbedingung $ V(S,T) = S - K$ ist. Der Black-Scholes-Ansatz liefert also denselben Preis des Terminkontrakts wie die modellfreie Arbitragebeziehung.

Zum Schluss bemerken wir noch, dass das Modell der geometrischen Brownschen Bewegung für Aktienkurse über mittelgroße Zeiträume eine brauchbare Näherung liefert. Die Übertragung des Modells auf andere grundlegende Finanzinstrumente wie Devisen oder Anleihen ist nicht ohne weiteres möglich. Bondoptionen haben in der Regel eine deutlich längere Laufzeit als Aktienoptionen. Ihre Wertentwicklung hängt nicht vom Kurs, sondern von dem dann ebenfalls als stochastischer Prozess aufzufassenden Zins ab. Zur adäquaten Modellierung der Zinsentwicklung braucht man aber andere Arten stochastischer Prozesse, die wir in späteren Kapiteln diskutieren werden.

Wechselkurse lassen sich eingeschränkt als geometrische Brownsche Bewegung modellieren. Empirische Vergleiche zeigen, dass dieses Modell für manche Währungen oder Laufzeiten nicht geeignet ist, so dass im Einzelfall anhand von Daten überprüft werden muss, ob der Black-Scholes-Ansatz für die Bewertung von Devisenoptionen benutzt werden kann. Ist dies der Fall, so entspricht die Fremdwährung, die das zugrundeliegende Objekt der Option ist, einer Aktie mit einem kontinuierlichen Dividendenertrag, der durch die kontinuierliche Zinsrate $ d$ im Land der Fremdwährung gegeben ist. Die Bestandshaltekosten $ b = r - d$ entsprechen der Differenz der Zinsen im Inland und im Land der Fremdwährung: Kauft der Investor die Fremdwährung vorzeitig, so kann er sein Kapital nicht mehr im Inland anlegen und verliert den Zinssatz $ r$, gewinnt dafür aber den Zinssatz $ d$, den er für die Fremdwährung in deren Herkunftsland erhält. Der Wert der Devisenoption ergibt sich dann durch Lösen der Differentialgleichung (6.3) von Black und Scholes mit der passenden, durch den Typ der Option bestimmten Randbedingung.