8.3 Risikomanagement mit Hedge-Strategien

Das Handeln mit Optionen ist wegen der starken zufälligen Komponente mit einem vergleichsweise hohen Risiko verbunden. Fortgeschrittene Strategien zur Verringerung und Kontrolle dieses Risikos können aus der Black-Scholes-Formel (6.24) abgeleitet werden. Um die Problematik zu verdeutlichen, betrachten wir zuerst ein Beispiel und einige traditionelle Strategien.

Beispiel 8.1   Eine Bank verkauft für 600000 EUR einen europäischen Call auf 100000 Stück einer dividendenfreien Aktie. Die Parameter der Option sind in der Tabelle 6.3 dargestellt.

Tabelle 2.7: Daten des Beispiels
Aktueller Zeitpunkt $ t$ 6 Wochen
Laufzeit $ T$ 26 Wochen
Restlaufzeit $ \tau = T - t$ 20 Wochen = 0.3846
stetiger Jahreszinssatz $ r$ 0.05
Jahresvolatilität der Aktie $ \sigma$ 0.20
aktueller Aktienkurs $ S_t$ 98 EUR
Ausübungskurs $ K$ 100 EUR


Die Black-Scholes-Formel (6.24) mit $ b=r$ wegen der Dividendenfreiheit ergibt als Wert der Option 480119 EUR, also rund 480000 EUR. Die Bank hat die Option um 120000 EUR teurer als ihren theoretischen Wert verkauft, setzt sich dafür aber dem Risiko von nennenswerten Verlusten aus.

Eine Risikomanagementstrategie ist es, nichts zu tun, d.h. eine ungedeckte Position (naked position) einzunehmen. Wenn die Option nach 20 Wochen ausgeübt wird, muss die Bank die Aktie zum dann aktuellen Kurs kaufen. Steigt der Kurs z.B. auf $ S_T = 120$ EUR, so kostet dies effektiv $ 100\;000 \cdot (S_T - K) =
2\;000\;000$ EUR, also deutlich mehr als die durch den Verkauf der Option erzielten Einnahmen. Steigt andererseits der Kurs nicht über den Ausübungskurs $ K$, so wird die Option nicht ausgeübt, und die Bank kann 600000 EUR als Gewinn verbuchen.
11529 SFMBSCopt2.xpl

Das andere Extrem ist das Einnehmen einer gedeckten Position (covered position). Sofort nach dem Verkauf der Option kauft die Bank die bei Ausübung fälligen Aktien zum Preis von $ 100\;000 \cdot S_t = 9\;800\;000
$ EUR. Wird im Falle $ S_T > K$ die Option ausgeübt, so werden die Aktien zum Preis von $ 100\;000 \cdot K = 10\;000\;000$ EUR geliefert. Da dies abgezinst auf den Zeitpunkt $ t$ ungefähr dem ursprünglichen Kaufpreis der Aktien entspricht, beträgt der Gewinn der Bank in diesem Fall rund 600000 EUR, d.h. dem für den Verkauf der Option erzielten Betrag. Fällt dagegen der Aktienkurs auf z.B. $ S_T = 80 $ EUR, so wird die Option nicht ausgeübt. Die Bank verliert aber aus dem Kursverlust der von ihr gehaltenen Aktien rund 2000000 EUR, also wieder wesentlich mehr als der für die Option erzielte Erlös. Aus der Put-Call-Parität für europäische Optionen (Satz 2.3) folgt übrigens, dass das Risiko aus dem Verkauf eines gedeckten Calls identisch zum Risiko aus dem Verkauf eines ungedeckten Puts ist.

Beide Risikomanagementstrategien sind unbefriedigend, da die Kosten sehr stark zwischen 0 und großen Werten variieren. Nach Black-Scholes entstehen im Mittel Kosten von rund 480000 EUR, und ein perfekter Hedge sollte dafür sorgen, dass der Einfluss des Zufalls ausgeschaltet wird und genau diese Kosten entstehen.

Ein aufwendigeres Verfahren zum Hedgen, d.h. zum Beschränken des Risikos, das mit dem Verkauf eines Calls verbunden ist, ist die Stop-Loss-Strategie : Die die Option herausgebende Bank nimmt eine ungedeckte Position ein, solange der Aktienkurs unterhalb des Ausübungskurses ist $ (S_t < K)$, und wechselt in eine gedeckte Position, sobald der Call im Geld ist $ (S_t > K)$.

Die beim Ausüben der Option zu liefernden Aktien werden gekauft, sobald $ S_t\ \, K$ überschreitet, und wieder abgestoßen, sobald $ S_t$ unter $ K$ fällt.

Da sämtliche Käufe und Verkäufe nach der Zeit 0 zum Kurs $ K$ getätigt wurden, und da bei Fälligkeit $ T$ entweder keine Aktien gehalten werden $ (S_T < K)$ oder sie zum Kurs $ K$ an den Besitzer des Calls abgegeben werden $ (S_T > K)$, fallen nach der Zeit 0 nominell keine Kosten an.

Kosten entstehen durch diese Hedge-Strategie nur, wenn $ S_0 > K$ ist, zur Zeit 0 also Aktien zum Kurs $ S_0$ gekauft werden, die später zum Kurs $ K$ veräußert werden:

   Kosten für Stop-Loss-Hedgen: $\displaystyle \, \max[S_0 - K,\ 0]. $

Dies liegt unter dem Black-Scholes-Preis $ C(S_0,T)$, so dass Arbitrage durch Verkaufen einer Option und Hedgen mit der Stop-Loss-Strategie möglich wäre. Bei dieser Argumentation sind aber mehrere Dinge übersehen worden: Praktisch werden Käufe und Verkäufe nur nach jeweils $ \Delta t $ Zeiteinheiten getätigt. Je größer $ \Delta t $, desto größer ist in der Regel $ \delta$, desto seltener fallen aber die Transaktionskosten an. Hull (2000) hat in einer Monte Carlo-Studie mit $ M=1000$ simulierten Kursverläufen untersucht, wie gut sich die Stop-Loss-Strategie als Verfahren zur Verringerung des Risikos, das mit der Ausgabe einer Kaufoption verbunden ist, eignet. In jedem Simulationslauf werden die durch Stop-Loss-Verfahren verursachten Kosten $ \Lambda_m, m=1, ..., M,$ registriert und ihre Stichprobenvarianz

$\displaystyle \hat{v}^2_\Lambda = \frac{1}{M} \sum_{m=1}^{M} (\Lambda_m - \frac{1}{M} \sum_{j=1}^{M} \Lambda_j)^2$

berechnet. Die Größe des nach Anwendung des Stop-Loss-Hedgens verbleibenden Risikos misst die zur Standardisierung durch den Preis des gehedgten Calls geteilte Stichprobenstandardabweichung

$\displaystyle L = \frac{\sqrt{\hat{v}^2_\Lambda}}{C(S_0, T)} . $

Das Ergebnis zeigt Tabelle 6.4. Ein perfekter Hedge würde das Risiko, d.h. die Variabilität der Kosten, völlig ausschalten und hätte den Wert $ L=0.$


Tabelle 6.4: Leistung der Stop-Loss-Strategie
$ \Delta t $ (Wochen) 5 4 2 1 $ \frac{1}{2} $ $ \frac{1}{4} $
$ L$ 1.02 0.93 0.82 0.77 0.76 0.76


8.3.1 Delta-Hedgen

Zur Begrenzung des Risikos beim Optionshandel werden komplexere Hedge-Strategien als die bisher betrachteten eingesetzt. Wir betrachten als Beispiel wieder den Verkauf eines Calls auf Aktien. Zuerst wird versucht, den Wert des Portfolios über kleine Zeitintervalle hinweg unempfindlich gegen kleine Schwankungen des Kurses der der Option zugrunde liegenden Aktie zu machen. Dies nennt man Delta-Hedgen. Anschließend werden andere der ''Greek letters'' (Gamma, Theta, Vega, Rho) betrachtet, um die Feinabstimmung des Hedge-Portfolios zu erreichen.

Unter dem Delta oder der Hedge-Rate einer Kaufoption versteht man die Ableitung des Optionspreises nach dem Aktienkurs oder - als diskrete Version - den Differenzenquotienten der Änderung $ \Delta C$ des Optionspreises bei Änderung $ \Delta S$ des Aktienkurses:

$\displaystyle \Delta = \frac{\partial C}{\partial S}$   oder $\displaystyle \quad
\Delta = \frac{\Delta C}{\Delta S} $

Entsprechend ist das Delta anderer Anlageformen definiert. Die Aktie selbst hat den Wert $ S$, also $ \Delta = \partial S/\partial S = 1.$ Ein Terminkontrakt auf eine dividendenfreie Aktie hat den Forward Price $ V = S - K \cdot e^ {- r\tau} $ (siehe Satz 2.1) und daher ebenfalls $ \Delta = \partial V / \partial S = 1.$ Aktien und Terminkontrakte sind daher in Delta-Hedge-Portfolios gegeneinander austauschbar. Letztere werden wegen der niedrigeren Transaktionskosten vorgezogen, wenn sie verfügbar sind.

Beispiel 8.2   Eine Bank verkauft Calls auf 2000 Aktien zum Preis von $ C = 10 $ EUR/Aktie bei einem Kurs $ S_0 = 100 $ EUR/Aktie. Das Delta des Calls sei $ \Delta = 0.4.$ Zum Hedgen werden die verkauften Calls im Portfolio durch Kauf von $ \Delta \cdot 2000 =
800$ Aktien ergänzt. Kleine Änderungen des Optionswertes werden durch entsprechende Änderungen des Wertes der Aktien im Portfolio ausgeglichen. Steigt der Aktienkurs um 1 EUR, d.h. der Wert der Aktien im Portfolio um 800 EUR, so steigt der Optionswert eines Calls auf 1 Aktie um $ \Delta C = \Delta \cdot \Delta S = 0.4 $ EUR, der Wert aller Calls im Portfolio also um 800 EUR, was einen Verlust für den Verkäufer des Calls darstellt. Gewinn und Verlust gleichen sich aus, da das Delta der Optionsposition durch das Delta der Aktienposition ausgeglichen wird. Das Gesamtportfolio hat $ \Delta = 0;$ die Bank nimmt eine deltaneutrale Position ein.

Da das Delta von Optionen u.a. von Aktienkurs und Zeit abhängt, bleibt eine deltaneutrale Position nur kurzfristig erhalten. In der Praxis muss beim Delta-Hedgen das Portfolio regelmäßig den sich ändernden Gegebenheiten angepasst werden. Dies nennt man Rebalanzieren. Strategien zum Risikomanagement von Portfolios, die häufiges Umschichten beinhalten, sind als dynamisches Hedgen bekannt. Wir merken an, dass die Black-Scholes-Differentialgleichung (6.3) mit Hilfe eines dynamischen Hedgeportfolios hergeleitet werden kann, dessen Position durch kontinuierliches Umschichten deltaneutral gehalten wird. Dieser Ansatz ist analog zur Betrachtung eines die Option duplizierenden Portfolios.

Beispiel 8.3   Der Kurs der dem obigen Call zugrunde liegenden Aktie steigt innerhalb einer Woche auf 110 EUR. Durch die verstrichene Zeit und den geänderten Kurs erhöht sich das Delta der Option auf $ \Delta =
0.5.$ Um erneut eine deltaneutrale Position zu erreichen, müssen $ (0.5
- 0.4) \cdot 2000 = 200 $ Aktien zum Portfolio hinzugekauft werden.

Aus den Black-Scholes-Formeln für den Wert europäischer Calls und Puts auf dividendenfreie Aktien ergibt sich als Delta:
$\displaystyle \Delta = \frac{\partial C}{\partial S}$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \Phi (y +
\sigma \sqrt{\tau})$ (8.27)
$\displaystyle \vspace{5mm}$   bzw. $\displaystyle \Delta = \frac{\partial P}{\partial
S}$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \Phi (y + \sigma \sqrt{\tau}) - 1,$  

wobei $ y$ wie in (6.25) definiert ist.

Das Delta (6.27) ist in Abbildung 6.1 als Funktion von Aktienkurs und Laufzeit dargestellt. Für steigende Aktienkurse geht das Delta gegen Eins, für fallende gegen Null. Mit anderen Worten, ist die Option sehr weit im Geld, so wird sie sehr wahrscheinlich am Laufzeitende ausgeübt werden, weshalb man als Stillhalter dieser Option zur Deckung des Risikos die Aktie (oder einen sehr großen Teil) halten sollte. Ist die Option andererseits sehr weit aus dem Geld, so wird sie sehr wahrscheinlich nicht ausgeübt werden, so dass man die Aktie nicht (oder nur einen kleinen Teil) zu halten braucht.

Abb.: Das Delta als Funktion von Aktienkurs (rechte Achse) und Laufzeit (linke Achse) mit $ K=100$, $ r=d=0$ und $ \sigma=0.25$. 11808 SFMdelta.xpl
\includegraphics[width=1.3\defpicwidth]{delta.ps}

Weiterhin ist die Wahrscheinlichkeit $ p$, dass eine Option aus dem Geld am Laufzeitende ausgeübt und eine Option im Geld nicht ausgeübt wird größer, je länger die Laufzeit ist. Das erklärt, weshalb das Delta für längere Laufzeiten flacher (linearer) wird.

Tabelle 6.5 nach Hull (2000) zeigt in derselben Weise wie Tabelle 6.4 für die Stop-Loss-Strategie die Leistung des Delta-Hedgens in Abhängigkeit von den Abständen $ \Delta t $ zwischen den Rebalanzierungen des Portfolios. Wenn $ \Delta t $ klein genug ist, wird das Risiko aus dem Verkauf des Calls sehr gut eingegrenzt. Für $ \Delta t \rightarrow 0 $ erhält man als Grenzfall die der Ableitung der Black-Scholes-Formel zugrunde liegende kontinuierliche Rebalanzierung und die perfekte Ausschaltung des Risikos $ (L = 0).$


Tabelle 6.5: Leistung des Delta-Hedgens
$ \Delta t $ (Wochen) 5 4 2 1 $ \frac{1}{2} $ $ \frac{1}{4} $
$ L$ 0.43 0.39 0.26 0.19 0.14 0.09


Wegen der Linearität der Ableitung ist das Delta $ \Delta_p$ eines Portfolios, das aus $ w_1, \ldots, w_m $ Stück von Derivaten $ 1, \ldots, m$ mit Deltas $ \Delta_1, \ldots, \Delta _m$ besteht, einfach:

$\displaystyle \Delta _p = \sum^ m_{j=1} w_j \Delta _j $

Beispiel 8.4   Ein Portfolio aus verschiedenen USD-Optionen besteht aus
1.
200000 gekauften Calls (long position) mit Ausübungskurs 1.70 EUR und Fälligkeit in 4 Monaten. Das Delta einer auf einen einzelnen Dollar bezogenen Option ist $ \Delta_1 = 0.54.$
2.
100000 verkaufte Calls (short position) mit Ausübungskurs 1.75 EUR und Fälligkeit in 6 Monaten mit einem Delta von $ \Delta_2 =
0.48.$
3.
100000 verkauften Puts (short position) mit Ausübungskurs $ 1.75$ EUR und Fälligkeit in 3 Monaten mit $ \Delta_3 = - 0.51.$
Das Delta des Portfolios ist (Wertsteigerungen verkaufter Optionen wirken sich negativ auf den Wert des Portfolios aus):
$\displaystyle \Delta_p$ $\displaystyle =$ $\displaystyle 200000 \cdot \Delta _1 - 100000 \cdot
\Delta_2 - 100000 \cdot \Delta_3$  
  $\displaystyle =$ $\displaystyle 111000$  

Das Portfolio kann durch Verkauf von 111000 USD oder eines passenden Terminkontrakts auf USD (beides mit $ \Delta = 1$) deltaneutral gemacht werden.

8.3.2 Gamma und Theta

Beim Delta-Hedgen wird der Optionspreis $ C$ lokal durch eine im Aktienkurs $ S$ lineare Funktion approximiert. Wenn die Zeit $ \Delta t $ bis zum nächsten Rebalanzieren des Portfolios nicht sehr kurz ist, ist die Näherung unbefriedigend (vgl. Tabelle 6.5). Daher betrachtet man eine feinere Approximation, d.h. die Taylor-Entwicklung von $ C$ als Funktion von $ S$ und $ t$:

$\displaystyle \Delta C = C(S + \Delta S,\ t+\Delta t) - C(S,t) = \frac{\partial...
...rtial ^ 2 C}{\partial S^ 2}
\Delta S^ 2 + {\scriptstyle \mathcal{O}}(\Delta t) $

Dabei ist (wie wir schon im Beweis von Satz 6.1 gesehen haben) $ \Delta S$ von der Größenordnung $ \sqrt{\Delta t},$ und die in $ {\scriptstyle \mathcal{O}}(\Delta t)$ zusammengefassten Terme sind von kleinerer Größenordnung als $ \Delta t.$ Vernachlässigt man alle Terme bis auf den ersten (von der Größenordnung $ \sqrt{\Delta t} $), so erhält man die dem Delta-Hedgen zugrunde liegende Näherung

$\displaystyle \Delta C \approx \Delta \cdot \Delta S $

Berücksichtigt man auch die Terme der Größenordnung $ \Delta t,$ so folgt

$\displaystyle \Delta C \approx \Delta \cdot \Delta S + \Theta \cdot \Delta t +
\frac{1}{2} \Gamma \Delta S^ 2 $

wobei $ \Theta = \partial C / \partial t $ das Theta und $ \Gamma = \partial ^ 2 C/\partial S^ 2 $ das Gamma der Option ist. $ \Theta$ heißt auch Zeitverfall (time decay) der Option. Für einen dividendenfreien Call erhält man aus der Black-Scholes-Formel (6.24):

$\displaystyle \Theta = - \frac{\sigma S}{2\sqrt{\tau}}\, \varphi (y+\sigma \sqrt{\tau}) -
rKe^ {-r\tau} \Phi (y) $

und

$\displaystyle \Gamma = \frac{1}{\sigma S\sqrt{\tau}} \, \varphi (y + \sigma \sqrt{\tau} )$ (8.28)

mit dem in (6.25) definierten $ y$.

Das Gamma in (6.28) ist in Abbildung (6.2) geplottet als Funktion von Aktienkurs und Laufzeit. Optionen, deren Deltas am sensitivsten auf Kursänderungen reagieren, sind am Geld und haben kurze Laufzeiten. Bei diesen Optionen sind also häufige Umschichtungen erforderlich, wenn man Delta-Hedgen betreibt.

Abb.: Das Gamma als Funktion von Aktienkurs (rechte Achse) und Laufzeit (linke Achse), mit $ K=100$, $ r=d=0$ und $ \sigma=0.25$. 12033 SFMgamma.xpl
\includegraphics[width=1.2\defpicwidth]{gamma.ps}

Beim Gamma-Hedgen geht man von einem bereits deltaneutralen Portfolio aus und versucht es, durch Hinzukauf oder Verkauf von Derivaten gammaneutral zu machen, d.h. $ \Gamma = 0$ zu erreichen und den Wert des Portfolios noch stabiler gegen Änderungen des Aktienkurses zu machen. Für das Gamma-Hedgen kann man allerdings weder Aktien noch Terminkontrakte benutzen, da beide konstantes $ \Delta$ und daher $ \Gamma = 0$ haben. Andererseits ist dies auch von Vorteil, da man diese Instrumente einsetzen kann, um ein bereits gammaneutrales Portfolio deltaneutral zu machen, ohne das Gamma zu ändern. Zum Gamma-Hedgen einer Position aus Optionen mit einem Gammawert $ \Gamma $ kann man z.B. $ w$ Stück einer in der Börse gehandelten Option mit einem Gamma von $ \Gamma_B$ einsetzen. Das Gamma des Portfolios ist dann $ \Gamma + w \Gamma_B,$ also 0 für $ w = - \Gamma / \Gamma_B.$

Beispiel 8.5   Ein Portfolio aus USD-Optionen und US-Dollars sei bereits deltaneutral mit $ \Gamma = - $150000. An der Terminbörse wird ein USD-Call mit $ \Delta_B = 0.52 $ und $ \Gamma_B = 1.20$ angeboten. Das Portfolio wird durch Hinzufügen von $ - \Gamma / \Gamma _B = 125000$ dieser Calls gammaneutral. Sein $ \Delta$ ist danach aber $ 125000 \cdot
\Delta _B = 65000. $ Die Deltaneutralität kann z.B. durch Verkauf von $ 65000$ USD aus dem Portfolio wiedergestellt werden, ohne das Gamma zu ändern.

Im Gegensatz zur Entwicklung des Aktienkurses ist der Ablauf der Zeit deterministisch und mit keinen risikosteigernden Unwägbarkeiten verbunden. Wenn $ \Delta$ und $ \Gamma $ beide 0 sind, so ändert sich der Wert der Option (näherungsweise) risikofrei mit der Rate $ \Theta = \Delta C/\Delta t.$ Der Parameter $ \Theta$ ist für die meisten Optionen negativ; eine Option verliert an Wert, je näher der Fälligkeitsterm rückt.

Aus der Black-Scholes-Gleichung (6.24) folgt für ein deltaneutrales Portfolio aus Aktienoptionen

$\displaystyle rV = \Theta + \frac{1}{2} \sigma ^ 2 S^ 2 \Gamma, $

wobei $ V$ der Wert des Portfolios ist. $ \Theta$ und $ \Gamma $ hängen auf einfache Weise voneinander ab, so dass $ \Theta$ anstelle von $ \Gamma $ zum Gamma-Hedgen eines deltaneutralen Portfolios benutzt werden kann.

8.3.3 Rho und Vega

Der Black-Scholes-Ansatz geht davon aus, dass die Volatilität $ \sigma$ konstant ist. Das Auftreten von Smiles zeigt, dass diese Annahme in der Praxis nicht gerechtfertigt ist. Daher kann es sinnvoll sein, den Wert eines Portfolios auch unempfindlich gegenüber Änderungen der Volatilität zu machen. Dabei benutzt man das Vega eines Portfolios (in der Literatur manchmal auch Lambda oder Kappa genannt), das für z.B. einen Call definiert ist als $ {\cal V} = \frac{\partial
C}{\partial \sigma}. $

Aktien und Terminkontrakte haben $ {\cal V} = 0,$ so dass man beim Vega-Hedgen wieder auf an der Börse gehandelte Optionen zurückgreifen muss. Da ein veganeutrales Portfolio nicht automatisch gammaneutral ist, muss man beim Hedgen zwei verschiedene Optionen einsetzen, um gleichzeitig $ {\cal V} = 0$ und $ \Gamma = 0$ zu erreichen.

Aus der Black-Scholes-Formel (6.24) mit dem dort definierten $ y$ ergibt sich als Vega eines Calls auf eine dividendenfreie Aktie

$\displaystyle {\cal V} = S\sqrt{\tau} \varphi (y + \sigma \sqrt{\tau}).$ (8.29)

Da die Black-Scholes-Formel unter der Annahme konstanter Volatilität hergeleitet worden ist, ist es eigentlich nicht gerechtfertigt, $ {\cal V}$ durch Ableiten von (6.24) nach $ \sigma$ zu berechnen. Die obige Formel für $ {\cal V}$ ist aber sehr ähnlich zu einer Gleichung für $ \partial C/\partial \sigma$, die aus einem allgemeineren Modell mit stochastischer Volatilität folgt, so dass sie näherungsweise benutzt werden kann.

Das Vega in (6.29) ist in Abbildung 6.3 dargestellt als Funktion des Aktienkurses und der Laufzeit. Optionen am Geld mit langer Laufzeit reagieren am sensitivsten auf Änderungen der Volatilität.

Abb.: Das Vega als Funktion von Aktienkurs (rechte Achse) und Laufzeit (linke Achse), mit $ K=100$, $ r=d=0$ und $ \sigma=0.25$. 12199 SFMvega.xpl
\includegraphics[width=1.2\defpicwidth]{vega.ps}

Schließlich kann man das mit einem Call verbundene Risiko aufgrund von Zinsschwankungen begrenzen, indem man das Rho der Option zum Hedgen benutzt:

$\displaystyle \rho = \frac{\partial C}{\partial r} $

Für einen Call auf eine dividendenfreie Aktie ergibt sich aus (6.24)

$\displaystyle \rho = K\ \tau\ e^ {-r\tau} \Phi (y) . $

Bei Währungsoptionen müssen dabei neben den inländischen auch die Zinsschwankungen im Land der Fremdwährung berücksichtigt werden, so dass beim Rho-Hedgen zwei verschiedene Werte $ \rho_1, \rho_2$ betrachtet werden.

8.3.4 Historische und implizierte Volatilität

In den Black-Scholes-Formeln (6.22), (6.24) sind alle Optionsparameter bekannt mit Ausnahme der Volatilität $ \sigma.$ In der Praxis schätzt man $ \sigma$ aus vorhandenen Beobachtungen des Aktienkurses oder der an der Börse notierten Preise ähnlicher Optionen.

Die historische Volatilität (historic volatility) ist ein Schätzer für $ \sigma$ auf der Grundlage des Schwankungsverhaltens der Aktie in der Vergangenheit. Sind z.B. $ S_0, \ldots, S_n$ die Aktienkurse zu den Zeitpunkten $ 0, \Delta t, 2 \Delta t, \ldots, n
\Delta t, $ so sind die logarithmierten relativen Zuwächse

$\displaystyle R_t = \ln \frac{S_t}{S_{t-1}} \, ,\ \, \, t = 1, \ldots, n $

unabhängige identisch normalverteilte Zufallsgrößen, wenn man den Kurs $ S_t$ als geometrische Brownsche Bewegung modelliert. $ R_t$ ist der Zuwachs $ Y_t - Y_{t-1}$ des logarithmierten Aktienkurses $ Y_t = \ln S_t,$ der nach Abschnitt 5.4 ein Wiener-Prozess mit Varianzrate $ \sigma^2$ ist, über ein Zeitintervall der Länge $ \Delta t.$ Die Varianz von $ R_t$ ist daher

$\displaystyle v = \mathop{\text{\rm Var}}(R_t) = \sigma^ 2 \cdot \Delta t .$

Ein guter Schätzer für $ \mathop{\text{\rm Var}}(R_t)$ ist die Stichprobenvarianz

$\displaystyle \hat{v} = \frac{1}{n-1} \, \sum^ n_{t=1} (R_t - \bar{R}_n)^ 2 $

wobei $ \bar{R}_n = \frac{1}{n} \, \sum^
n_{t=1} \, R_t $ das Stichprobenmittel ist. $ \, \hat{v} $ ist erwartungstreu, d.h. $ \mathop{\text{\rm\sf E}}[\hat{v}] = v,\ $ und die Zufallsgröße

$\displaystyle (n - 1) \, \frac{\hat{v}}{v} $

hat eine bekannte Verteilung, eine $ \chi^ 2_{n-1}$-Verteilung (Chi-Quadrat mit $ n-1$ Freiheitsgraden). Daraus folgt insbesondere, dass der mittlere relative quadratische Schätzfehler von $ \hat{v}$

$\displaystyle \mathop{\text{\rm\sf E}}\left( \frac{\hat{v}-v}{v}\right)^ 2 = \f...
...\,
\mathop{\text{\rm Var}}\left((n-1) \frac{\hat{v}}{v}\right) = \frac{2}{n-1} $

ist. Da $ v = \sigma^ 2 \Delta t$, erhält man auf der Basis der historischen Aktienkurse $ S_0, \ldots, S_n$ als Schätzer für die Volatilität $ \sigma$

$\displaystyle \hat{\sigma} = \sqrt{\hat{v}/\Delta t}. $

Durch Taylorentwicklung der Wurzel und mit den bekannten Größen $ \mathop{\text{\rm\sf E}}[
\hat{v}]$ und $ \mathop{\text{\rm Var}}(\frac{\hat{v}}{v}) $ folgt, dass $ \hat{\sigma}$ erwartungstreu bis auf Terme der Größenordnung $ \frac{1}{n}$ ist:

$\displaystyle \mathop{\text{\rm\sf E}}[\hat{\sigma}] = \sigma + {\mathcal{O}}\left( \frac{1}{n}\right)\ , $

und dass der mittlere relative quadratische Schätzfehler von $ \hat{\sigma}$ bis auf Terme kleinerer Größenordnung als $ \frac{1}{n}$ gegeben ist durch

$\displaystyle \mathop{\text{\rm\sf E}}\left( \frac{\hat{\sigma}-\sigma}{\sigma}...
... 2 =
\frac{1}{2(n-1)} + {\scriptstyle \mathcal{O}}\left( \frac{1}{n}\right)\ . $

Mit dieser Beziehung lässt sich die Zuverlässigkeit des Schätzers $ \hat{\sigma}$ beurteilen.

Wahl der Stichprobenparameter:

a)
Als Ausgangsdaten werden meist Tagesschlusskurse $ S_0, \ldots, S_n$ betrachtet. $ \Delta t $ entspricht einem Tag bezogen auf 1 Jahr, da $ \sigma$ in der Regel die Jahresvolatilität ist. Für Kalendertage wäre also $ \Delta t = \frac{1}{365}$. Für Wochenenden und Feiertage liegen allerdings keine Kurse vor. Die folgende, empirisch begründete Argumentation legt aber nahe, Wochenenden und Feiertage einfach zu ignorieren: Würde sich der Kursprozess über das Wochenende genauso entwickeln wie unter der Woche, auch wenn er nicht beobachtet wird, so müsste die Standardabweichung der Kursänderung zwischen Freitag und Montag das Dreifache der Standardabweichung der Kursänderung zwischen zwei Werktagen, z.B. Montag und Dienstag, betragen. Dies folgt aus der Beobachtung, dass für den Wiener-Prozess $ Y_t = \ln S_t$ die Standardabweichung der Änderung $ Y_{t+\delta} - Y_t$ gerade $ \sigma \cdot \delta$ ist. Empirische Untersuchungen der Aktienmärkte haben aber gezeigt, dass das Verhältnis der Standardabweichungen nur wenig größer als 1 und auf jeden Fall deutlich kleiner als 3 ist . Die Volatilität sinkt also über das Wochenende, woraus man schließen kann, dass der Handel selbst die Volatilität erhöht und sie nicht nur durch externe Wirtschaftsentwicklungen bestimmt ist. Beim Schätzen der Volatilität ist es daher ratsam, nur Handelstage zu betrachten, an denen Kursnotierungen vorliegen. Üblicherweise rechnet man mit 252 Handelstagen pro Jahr, so dass $ \Delta t = \frac{1}{252}$.

Bei monatlichen Daten ist entsprechend $ \Delta t = \frac{1}{12}$ zu setzen. Wie schon in Abschnitt 3.3 ausgeführt erhalten wir etwa 19% Jahresvolatilität für die monatlichen DAX Daten.
12398 SFMsumm.xpl

b)
$ \hat{\sigma}$ wird theoretisch immer zuverlässiger, je größer $ n$. In der Praxis ist die Volatilität aber über längere Zeiträume nicht konstant, so dass lange zurückliegende Kurse wenig aussagekräftig für das gegenwärtige $ \sigma$ sind. Als Kompromiss benutzt man oft die Schlusskurse der letzten 90 oder 180 Tage. Manche Autoren empfehlen auch, um dieselbe Zeitspanne in die Vergangenheit zurückzugehen, in der man die Volatilität in der Zukunft benutzen will, also z.B. Kurse der Handelstage aus den letzten 9 Monaten zu benutzen, wenn der Wert eines Calls mit Laufzeit 9 Monaten berechnet werden soll.
Die implizierte Volatilität (implied volatility - im deutschen Sprachgebrauch fälschlicherweise auch implizite Volatilität genannt ) einer Option wird nicht aus den Aktienkursen, sondern aus den an der Terminbörse notierten Optionen auf dieselbe Aktie berechnet. Betrachtet man einen europäischen Call auf eine dividendenfreie Aktie $ (d = 0,\ b =
r)$, der an der Börse mit $ C_B$ notiert wird, so ist seine implizierte Volatilität $ \sigma_I$ die Lösung der Gleichung
    $\displaystyle S\ \Phi (y + \sigma_I \sqrt{\tau}) - e^ {-r\tau} K\ \Phi (y) = C_B$  
       
  mit  $\displaystyle \qquad \displaystyle y = \frac{1}{\sigma_I \sqrt{\tau}} \, \{ \ln
\frac{S}{K} + ( r - \frac{1}{2}\sigma^2_I ) \tau \} .$  

$ \sigma_I$ ist derjenige Wert der Volatilität $ \sigma$, für den der nach der Black-Scholes-Formel (6.24) berechnete Optionswert $ C(S,\tau)$ mit dem beobachteten Marktwert übereinstimmt. $ \sigma_I$ ist implizit als Lösung der obigen Gleichung definiert und muss numerisch bestimmt werden, da die Gleichung sich nicht nach $ \sigma$ auflösen lässt.

Die implizierte Volatilität kann benutzt werden, um sich einen Eindruck über die Einschätzung des Marktes hinsichtlich der Volatilität einer Aktie zu verschaffen. Man kann die implizierten Volatilitäten aus (hinsichtlich Restlaufzeit $ \tau$ und Ausübungskurs $ K$) verschiedenen Optionen auf dieselbe Aktie auch zu einem Schätzer von $ \sigma$ kombinieren. Dabei sollte man durch Gewichte die Stärke der Abhängigkeit des Optionspreises von der Volatilität berücksichtigen.
12402 SFMVolSurfPlot.xpl

Beispiel 8.6   Zwei Optionen auf eine Aktie werden gehandelt. Eine von ihnen ist am Geld und hat als implizierte Volatilität $ \sigma_{I1} =
0.25;$ die andere ist weit im Geld und hat die implizierte Volatilität $ \sigma_{I2} = 0.21.$ Am Geld ist die Abhängigkeit zwischen Optionspreis und Volatilität besonders stark, so dass der Marktpreis der ersten Option mehr Information über das $ \sigma$ der Aktie enthält und $ \sigma_{I1}$ eine zuverlässigere Approximation von $ \sigma$ ist. In der Kombination der beiden implizierten Volatilitäten zu einem Schätzer $ \tilde{\sigma}$ für $ \sigma$ sollte $ \sigma_{I1}$ ein größeres Gewicht erhalten, z.B.

$\displaystyle \tilde{\sigma} = 0.8 \cdot \sigma_{I1} + 0.2 \cdot \sigma_{I2} .$

Andere Autoren empfehlen, $ \tilde{\sigma} = \sigma_{Im} $ zu setzen, wobei $ \sigma_{Im}$ die implizierte Volatilität derjenigen Option auf die Aktie ist, deren Wert am empfindlichsten auf Änderungen von $ \sigma$ reagiert, d.h. der Option mit dem betragsgrößten Vega $ =
\partial C/\partial \sigma$.

Soll die Methode risiko-neutraler Bewertung angewandt werden (vgl. Cox and Ross (1976)), muss das Maß derart transformiert werden, dass der resultierende Preisprozeß ein Martingal ist. Dies garantiert die Abwesenheit von Arbitragemöglichkeiten (siehe Harrison and Kreps (1979)). Bei unvollständigen Märkten gibt es jedoch eine Vielzahl solcher Transformationen (siehe Harrison and Pliska (1981)). Im Gegensatz zu vollständigen Märkten kann der Händler bei unvollständigen Märkten kein selbstfinanzierendes Portfolio aufbauen, das die Auszahlung der Option exakt repliziert. Daher ist das Hedgen nicht vollkommen risikolos, und Optionspreise hängen infolgedessen von den Risikopräferenzen ab. Es sollte an dieser Stelle betont werden, dass das Fehlen einer perfekten Hedge-Strategie in der Praxis von eminenter Bedeutung ist.